Maalula ist der Name eines kleinen felsigen
Dorfes einige Kilometer außerhalb von Damaskus. Das
Dorf ist trotzig den umliegenden Bergen abgerungen, als natürliche Siedlungsfläche käme wohl jedenfalls niemandem dieses Gebiet in den Sinn. Maalula ist deshalb einigermaßen bekannt und berühmt, weil es einer der wenigen Orte auf der Welt ist, wo noch die Sprache Jesu, Aramäisch, gesprochen wird. Für Touristen aus Damaskus ist Maalula ein beliebtes Ausflugsziel und für einen Nachmittag auch durchaus sehenswert. Auch kommen christliche Pilger in das Dorf, um "die", oder doch zumindest eine der ältesten Kirchen/Klöster der Welt zu sehen. Ansonsten gibt es in dem Dorf noch ein weiteres Kloster und viele, viele Berge.
Mein Ausflug beginnt an einem der Minibus-Bahnhöfe in Damaskus, 50 SP (0,80€) kostet die ca. 45-minütige Fahrt. In Maalula angekommen steigen mein Begleiter und ich im Dorfzentrum aus, gekennzeichnet durch so etwas wie einen kleinen Kreisverkehr und ein paar Kioske und Falafelshops. Zunächst führt uns unser Weg bergauf (wer hätte das gedacht), in Richtung des Klosters Mar Thekla. Es ist benannt nach der heiligen Thekla, deren Geschichte zahlreiche Variationen hat, ich versuche mal eine gekürzte Version mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner zu exzerpieren: Thekla wurde von Paulus zum Christentum bekehrt und musste daraufhin vor ihren heidnischen Verfolgern fliehen. Einige Wunder später erreichte sie Maalula, ein Dorf, das durch seine eigenen Legende zum Schutz von Hilfesuchenden verpflichtet ist. Ihre Verfolger erreichten sie, doch die Dorfbewohner weigerten sich, Thekla auszuliefern. Als daraufhin das ganze Dorf von Theklas Verfolgern drangsaliert wurde, taten sich die Berge auf und a) die Verfolger wurden von Steinlawinen erschlagen und/oder b) Thekla konnte sich in den Bergen verstecken oder c) durch die Berge fliehen. Ihr zu Ehren steht nun dieses Kloster in Maalula. Weder die Geschichte Theklas noch die Geschichte Maalulas ist an Wundern arm, und so hat auch das Kloster ein paar Wunder parat: in einer zum Kloster gehörenden Höhle wächst ein Feigenbaum aus dem Fels und Wasser tropft aus dem Gestein. Das ist tatsächlich so, wieso und weshalb und warum kann ich nicht beantworten, würde aber empfehlen, einen Geologen zu fragen, bevor man Gott konsultiert. Das Wasser aus dem Fels ist wiederum außerordentlich wunderträchtig. Nachdem ich meine Schuhe ausgezogen habe, betrete ich das Sanktuarium, einen kleinen, mit Kerzen und Weihrauch geschwängerten Raum. Zahlreiche Krücken liegen in einer Ecke, Zeuge all der wundersamen Heilungen, die das Wasser bewerkstelligt haben soll. Ein Bild würde ich jetzt gerne machen, aber eine Digitalkamera scheint an diesem in der Zeit stehengebliebenen Platz nicht angemessen zu sein.Eine Frau sitzt auf einem Hocker vor einem kleinen Schrein und - weint. Ich bin nun wahrlich kein Experte auf dem Gebiet religiöser Ergriffenheitserfahrungen, würde ihre Tränen aber einer solchen zuordnen, einen Eindruck von großer Trauer habe ich jedenfalls nicht. Wer weiß, vielleicht gehört ihr ja auch eine der Krücken in der anderen Ecke des Raumes. Ich fühle mich in diesem kleinen Raum mehr fehl am Platze als je zuvor. Der Geruch von Weihrauch, die Wärme der Kerzen, die Stille des alle Geräusche absorbierenden Teppiches, die vor lauter religiöser Ergriffenheit aufgewühlte Frau, das alles hat mit meiner Welt so viel zu tun wie Cornflakes mit Beteigeuze V. Recht schnell verlasse ich den Raum wieder, und meine ein deutliches Aufatmen aller meiner Nerven zu hören. Naja, solang es sonst niemand hört.
Anschließend wandern wir durch die Thekla-Schlucht in Richtung des zweiten Klosters. Hier soll der Berg sich aufgetan haben, um die gute Thekla vor ihren Verfolgern zu retten. Die Schlucht ist wahrlich beeindruckend, gerade mal wenige Meter breit, links und recht steil aufragende Felswände, ein schmaler Spalt nur erlaubt den Blick ins Blau des Himmels. Das hat schon was. Nachdem wir die Schlucht verlassen, wandern wir weiter über die Berge, jetzt aber auf ganz unverwunderlichen, unlegendären Asphaltstraßen. Ein Händler steht am Straßenrand und bietet aus der Ladefläche seines Autos heraus Datteln, Feigen, Nüsse und andere Leckereien an. Leider ist es ein recht heißer Tag und Fliegen lassen sich auf all dem Süßkrams nieder, so dass ich doch lieber verzichte. Mein Begleiter kauft dann aber doch ein paar Mandeln, die sind noch in der Schale und so vor Fliegenattacken sicher. Der Verkäufer erzählt stolz, dass er aramäisch spricht, was ich zwar schlecht nachprüfen kann, doch es erscheint an diesem Ort recht plausibel. Später erst fällt mir ein, dass ich ihn mal hätte fragen können, ob er "The Passion of Christ" von Mel Gibson kennt, und ob er irgendwas davon verstanden hat. Gibson hat den Film ja auf aramäisch gedreht, und ich habe gehört, dass die meisten, die diese Sprache noch sprechen, kaum ein Wort davon verstanden haben. Aber wahrscheinlich hätte er den Film sowieso nicht gekannt. Maalula wirkt nicht wie ein Ort, an dem man aktuelle Hollywoodfilme zu sehen bekommt.
Schließlich erreichen wir das zweite Kloster Maalulas, das Mar Sarkis. Gewidmet ist dieses Kloster den christlichen Märtyrern Sergius und Bacchus. Es stammt aus dem 4. Jahrhundert und zählt zu den ältesten bis in die Gegenwart genutzten Kirchen des Christentums. Der Eingang ist ein kleiner Torbogen, den man nur stark gebückten Schrittes durchqueren kann. Viel in Erinnerung geblieben ist mir von diesem Kloster indes nicht, die Eindrücke aus dem Mar Thekla waren vielleicht zu eindringlich, um kleineren Details Raum zu lassen.
Wieder im unteren Teil des Dorfes angekommen gönnen wir uns zum Abschluss unserer doch etwas erschöpfenden Wanderung ein paar Mana'ish (kleine Snacks, Teigboden mit diversen Zutaten belegt, Ausländer sagen manchmal "syrische Pizza" dazu). Die sind leider total versalzen und müssen mit viel Flüssigkeit hinuntergespült werden. Spontan fällt meinem Begleiter nun ein, dass er ja Bekannte hier im Ort hat, die er schon seit Jahren nicht mehr gesehen hat. Ein kurzer Anruf und schon stapfen wir wieder bergauf, nicht lange zum Glück, dann schlängeln wir uns durch die Gassen zwischen den in den Berg gebauten Häusern. Mehr als das Wort "Gassen" haben diese auch nicht verdient, kein bisschen begradigt, voller Schotter, Hügel und Dreck, machen sie das Vor- bzw. Aufwärtskommen nicht leicht. Und ich hab auch noch Absätze, na klasse. Trotzdem schaffen wir es ans Ziel und werden mit dampfend heißem arabischem Kaffee belohnt. Die Konversation verläuft eher schleppend, ein paar höfliche Fragen, sie haben sich wohl lang genug nicht mehr gesehen, um sich nicht nur aus den Augen sondern auch aus dem Sinn verloren zu haben.
Schließlich geht es mit dem Service zurück und daheim gönne ich mir nach dem anstrengenden Tag erstmal ein, zwei Stunden Schlaf.