Man ist ja nicht nur hier, um die "Must See"-Liste der Reiseführer abzuklappern, man möchte ja auch Land und Leute kennenlernen (außer die
Taxifahrer natürlich). Eine Einladung zum Essen bei einer muslimischen Familie in einem Vorort von Damaskus ist dazu eine willkommene Gelegenheit. Es wird ein höchst interessanter Besuch, mit beeindruckendem Interieur, vielen Leckereien, kontroversen Tischgesprächen und einem Bekehrungsversuch zum Nachtisch.
Eingeladen bin nicht nur ich, sondern mit mir gleich eine handvoll KollegInnen. Unser Freund hat uns den Weg erklärt, und mit vereinten Kräften schaffen wir es schließlich, nachdem auch der letzte mit schlafbedingter Verspätung am Treffpunkt eingetrudelt ist, in das richtige Service zu steigen. Im Vorort angekommen, wissen wir aber nicht recht, wie wir sein Haus finden sollen. Eine von uns hat sich zwar über Google Earth ein wenig schlau gemacht, aber so in der Frosch- anstatt Vogelperspektive ist sie einigermaßen orientierungslos. Wir schlagen schließlich eine Richtung ein, aber selbstverständlich wird es sich als die Falsche herausstellen. Es bleibt also nur übrig, unseren Freund anzurufen, damit er uns einsammelt und zu sich bringt. Das macht er auch, aber begeistert ist er davon nicht. Er musste schon seine Eltern überzeugen, um lauter Ausländer ins Haus bringen zu dürfen, aber das er mit denen allen auf der Straße gesehen wird, noch dazu alle Frauen unverschleiert, ein rarer Anblick in diesem konservativen Vorort, das war so nicht geplant.
Schließlich angekommen werden wir in das Besucherzimmer geleitet, ein beeindruckend ausstaffierter Raum mit reichlich verzierten, höchstwahrscheinlich handgefertigten Stühlen und Bänken in Blau und Gold. In einer Vitrine stehen zahlreiche, ebenso reich verzierte Porzellantassen, Figuren und vermutlich noch viel mehr beeindruckende Sachen, die ich nicht mehr recht in Erinnerung habe. Leider, leider traue ich mich nicht recht, ein Foto zu machen, so muss mein siebhaftes Gedächtnis das Bild ansatzweise rekonstruieren. Es ist jedenfalls ein wirklich prunkvoller Raum, dessen Ausstattung bestimmt teurer ist als die der ganzen restlichen Wohnung. So werden hier Besucher empfangen. Wir trinken Wasser, knabbern Nüsse und halten mit unserem Freund, seinem Vater, seinem Bruder und seinem Onkel ein wenig Smalltalk. Die Frauen des Hauses lassen sich hier nicht blicken.
Schließlich ist es soweit: Essenszeit. Wir wechseln vom Besucherzimmer in ein anderes Zimmer der Wohnung, dessen übliche Funktion nicht ganz klar ist, da es für uns in eine königliche Tafelrunde umgewandelt wurde. Auch die Frauen zeigen sich jetzt, verschleiert natürlich. Die Mutter, überhaupt nicht schüchtern, mit großen Kulleraugen und einer ihr innewohnenden Herzlichkeit und Fröhlichkeit, nimmt uns jede Befangenheit. Ihre Tochter hingegen ist sehr schüchtern und spricht während unseres gesamten Besuchs wohl nicht mehr als ein, zwei Sätze.
Ein Tisch nimmt beinahe den ganzen Raum ein, gedeckt mit lauter unglaublich leckeren Sachen: Hähnchen mit gelbem Reis, Salat, Hummus, Baba Ghanoush, diverse Karaffen mit nicht immer identifizierbaren, aber stets leckeren Getränken. Um es kurz zu machen: es ist köstlich und wir langen alle kräftig zu. Irgendwan sind wir alle pappsatt und müssen größte Anstrengungen unternehmen, um die Gastgeber daran zu hindern, uns Nachschlag auf die Teller zu packen und sie zu überzeugen, dass trotz des exquisiten Geschmacks kein Platz für auch nur ein weiteres Reiskorn ist. Unser Lob an die Köchin wird zur Kenntnis genommen, erst später gibt unser Freund zu, was seine Mutter vermutlich niemals preisgegeben hätte - das Essen haben sie bestellt, denn die Mutter war in den letzten Tagen gesundheitlich etwas angeschlagen und konnte nicht für so viele Leute kochen.
Das Gelage neigt sich dem Ende zu und schon wird Tee gebracht, ohne Tee oder Kaffee als Krönung ist keine syrische Mahlzeit komplett. Langsam entspannt sich ein Gespräch am Tisch, das viele interessante Wendungen nimmt. Die Mutter unseres Freundes hat sich, nachdem auch das jüngste Kind aus dem Gröbsten raus ist, an der Universität für englische Literatur eingeschrieben. Sie und die Kinder können demnach recht gut Englisch, Vater und Onkel nicht, was die Frage aufwirft, wie sie sich in der Situation fühlen - die Frau plaudert mit lauter ausländischen Gästen, während sie darauf angewiesen sind, dass der Sohn ab und an für sie übersetzt, worum es gerade geht. Das Interesse an einem Austausch zwischen verschiedenen Kulturen ist bei allen aber spürbar groß.
Wir diskutieren das Bild der arabischen Welt in europäischen und amerikanischen Medien. Um dieses ist es nun nicht allzugut bestellt und man versucht eindringlich, uns davon zu überzeugen, dass dieses Bild nicht der Realität entspricht, dass nicht alle Araber Terroristen sind, dass ihnen persönlich vor allem das Menschliche wichtig sei. Wir weisen mehrfach daraufhin, dass gerade wir nicht überzeugt werden müssen, mit so einem Bild im Kopf wären wir ja gar nicht erst hergekommen. Aber ja, dass dieses Bild existiert können wir nicht abstreiten. Jeder von uns hat mindestens einen, eher mehrere Freunde und Verwandte, die auf die Ankündigung, nach Syrien zu gehen, die Hände über dem Kopf zusammenschlugen und vor den Gefahren der "arabischen = muslimischen = terroristischen" Welt warnten.
Das Gespräch schlägt ein paar Haken und Wendungen und schon diskutieren wir die Rolle der Frau. Beeindruckend dabei, wie unsere Gastgeber das Gespräch führen: natürlich haben sie gewisse Vorstellungen von der westlichen Gesellschaft, wie andersherum ja auch so mancher meint, von einem Kopftuch auf die Lebensumstände einer muslimischen Frau schließen zu können. Aber hier ist man durchaus in der Lage, zwischen Wissen und Vorurteilen zu unterscheiden. Sie sagen nicht "bei euch ist es doch so und so...", sie sagen "ich habe gehört, bei euch sei es so und so, ist das denn tatsächlich so?". Ob Frauen denn immer arbeiten müssten? Nun, nicht immer, aber das klassische Ehe-Versorgungs-Modell funktioniert tatsächlich nicht mehr besonders oft, müssen wir zugeben. Interessante Deutungsansätze folgen: das bedeute doch, dass die muslimische (syrische) Frau wesentlich freier sei als ihre westlichen Geschlechtsgenossinnen. Es stehe ihr frei zu arbeiten, wenn sie denn wolle, aber müssen müsse sie eben nicht. Ich nehme das zur Kenntnis, denke mir, es ist eine interessante Deutung, die primär festgeschriebene Rolle der Frau als Hausfrau und Mutter als "Freiheit" zu verstehen, die Fähigkeit, sein eigenes Geld zu verdienen und im Falle eines Falles auch auf eigenen Beinen stehen zu können, als "Unfreiheit", behalte das aber für mich. Zu tief will ich nicht in die Diskussion einsteigen, solche Gespräche sind sehr erhellend, aber auch sehr anstrengend.
Nach einem Besuch bei der ortsansässigen Wohlfahrtsorganisation, in der man ein riesiges Aufhebens um die ausländischen Gäste macht und sich von uns lauter nützliche Ratschläge erhofft, die wir leider nicht bieten können, kehren wir noch einmal zu unseren Gastgebern zurück um einen Abschieds-Kaffee im Gästezimmer zu trinken. Der Onkel stellt sich dabei als Religionsgelehrter heraus, der die Gäste natürlich nicht ziehen lassen kann, ohne versucht zu haben, uns von den Vorzügen seiner Religion zu überzeugen. Zunächst muss herausgestellt werden, dass es definitiv einen Gott gibt, dazu zeigt er auf ein an der Wand hängendes Bild und erklärt, dass es höchst einfältig wäre, zu glauben, dass dieses einfach so aus dem Nichts entstanden sei. Natürlich gibt es einen Maler. Die Zielrichtung der Analogie ist klar: genauso wenig entsteht ein ganzes Universum und noch dazu all das Leben darin *einfach so*. Unser Freund übersetzt fleißig, muss dennoch ab und an den Onkel bitten, sein enthusiastisches Tempo zu drosseln, zunächst wollen die passenden englischen Begriffe gefunden werden. Es ist nicht der richtige Zeitpunkt, die Prinzipien der Evolutionslehre dagegenzuhalten, oder die unsinnige Neigung des Menschen, jede Wissenslücke mit "Gott" ausfüllen zu wollen, also ergeben wir uns in unser Schicksal und hören zu. Ein Koran wird hereingebracht, die Vorzüge der islamischen Religion, dem Menschen in allen Lebenslagen eine Anleitung für ein gottgefälliges Leben zu sein, angepriesen. In dem Stil geht es noch eine Weile weiter und würde es wohl auch noch lange, bis schließlich einer von uns sich ein Herz fasst, auf die schon weit vorangeschrittene Zeit hinweist, und bekundet, jetzt aber wirklich nach Hause zu müssen.
Nicht bekehrt, aber um eine interessante Begegnung reicher, kehren wir nach langen Abschiedsformeln, Freundschaftsbekundungen und Wiederholungswünschen jeder zurück nach Hause.