Sonntag, 24. Oktober 2010
Nagib Machfuz - Die Kairo-Trilogie
Diese drei Bände mit den Namen "Zwischen den Palästen", "Palast der Sehnsucht" und "Zuckergässchen" (Baina-l-Qausain, Qasr as-Schauk, Sukkariya - die Namen der Straßen, in denen die Protagonisten leben; das hätte die Übersetzerin für die nicht des arabisch mächtigen Leser ruhig als Fußnote erwähnen können) erzählen vom Leben einer ägyptischen Kaufmannsfamilie in und zwischen den beiden Weltkriegen und lassen so ein großes Mosaik ägyptischen Lebens entstehen. Machfuz wurde schon verglichen mit anderen Autoren wie Balzac, Dickens, Tolstoi, Gorki, Mann; seine Kairoer Trilogie mit Familiensagen wie etwa den "Buddenbrooks"*.
Herr Achmed Abd al-Gawwad ist das unangefochtene Oberhaupt der Familie und herrscht mit eisener Strenge, die dem Leser eine Reaktion irgendwo zwischen Stirnrunzeln und Abscheu abnötigt - man erinnere sich stets daran, dass die Geschichte zu Beginn des 20. Jahrhunderts angesiedelt ist, und auch, dass das gestrenge Gebaren dieses Patriarchen von so ziemlich allen anderen Familien um ihn herum etwas verwundert betrachtet wird. Dennoch, seine zweite Ehefrau Amina (die erste hat er verstoßen, weil sie gegen seinen Willen ihren eigenen Vater besucht hat...) ist durchaus glücklich und zufrieden mit ihrem "Gebieter", auch wenn er sie nicht aus dem Haus gehen lässt, nicht einmal, um zur Moschee zu gehen. Die al-Gawwads haben fünf Kinder: Jasin (noch aus erster Ehe), Fahmi, Kamal, Chadiga und Aischa. "Zwischen den Palästen", der erste Teil der Trilogie, stellt uns diese Familie vor, erzählt von ihrem Alltag, Amina zwischen Kindern und Küche, die Kinder in ihren Zankereien und Abenteuern daheim und in der Schule, der Hausherr in all seiner Strenge daheim und seiner ausgelassenen, weinseligen Fröhlichkeit nach der Arbeit mit Freunden und Gespielinnen. Einige der älteren Kinder werden unter die Haube gebracht, ist Heirat doch für einen jeden ein Lebensziel. Wie auch in den zwei folgenden Teilen gilt: eigentlich passiert wenig Spektakuläres, aber das Unspektakuläre ist so charmant, glaubwürdig und - besonders im bestimmt nicht zu kurz kommenden Bereich der sexuellen Begierde - witzig geschildert, dass man das Buch kaum wieder aus der Hand leben mag. Auch das Politische ragt ins Private, die Unruhen rund um die Forderung nach Ägyptens Unabhängigkeit beschäftigen die politisch gestimmten Gemüter, und bringen letztlich viel Unheil über die al-Gawwads - vor Beginn des Romans ist es im Übrigen überaus hilfreich, sich ein wenig in die Geschichte Ägyptens in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts einzulesen, wenigstens mal in die Wikipedia zu schauen, sonst könnten die vielen Namen und Begriffe ein wenig Verwirrung auslösen. Der erste Teil zieht viel Unterhaltung aus den unschuldig-neugierigen Fragen des erst etwa zehn Jahre alten Kamal, der von den verfänglichen Beziehungen zwischen Mann und Frau oder zwischen Ägypten und England noch nichts weiß.
Während der erste Teil uneingeschränkt fünf Sterne verdient, brechen der zweite, und ein wenig auch der dritte Teil, ein. Den weitaus größten Teil der Handlung bestimmt im "Palast der Sehnsucht" der jugendlich gewordene Kamal mit seiner ersten großen Liebe. Zwar sind seine romantischen Anwandlungen zunächst eine willkommene Abwechslung gegenüber den rohen Begierden so ziemlich aller anderen Männer, besonders seines Vaters Achmed und seines Brudes Jasin, auch die blumigen Liebesverse, die aus der Wortgewalt des Arabischen schöpfen, sind anfangs noch ganz nett zu lesen. Aber irgendwann ist es dann auch genug, doch wenn dieses Gefühl einsetzt, hat man bestenfalls die Hälfte von Kamals Gefühlsduselei hinter sich gebracht. Die anderen Familienmitglieder kommen fast nur am Rande vor. Zwar wird Aisha noch etwas überaus Dramatisches widerfahren, wogegen Kamals Liebeskummer sich äußerst harmlos ausnimmt, aber erst zum Schluss des Buches, mal eben so auf einer Seite und einer halben.
Teil drei schließlich, "Zuckergässchen", ist besser als der zweite, aber nicht so gut wie der erste Teil. Die Handlung ist wieder breiter gestreut, Kamal hat seine Liebeswehen einigermaßen überwunden, und leidet jetzt allgemein an der Sinnlosigkeit der Existenz, seiner Unfähigkeit, irgendeinen Standpunkt einzunehmen, dem Clash seiner wissenschaftlichen und religiösen Überzeugungen (ein sehr interessanter Handlungsstrang!) und dem Druck seiner Familie, jetzt aber langsam mal in die Pötte zu kommen und zu heiraten. Jasin schafft es nach mehreren Fehlschlägen schließlich, eine Frau zu finden, die er nicht nach wenigen Tagen wieder in die Wüste schickt, weil ihr sein Fremdgehen nicht gefällt. Chadiga lässt es sich gut gehen in ihrer Rolle als Hausdrachen. Amina und Achmed werden alt, er altersmilde, sie vom Leben gezeichnet, aber immerhin endlich in der Lage, das Haus auch mal zu verlassen. Ansonsten gehört der dritte Teil den Enkeln, Radwan, Karima, Abd al-Munim und Achmed. Diese sind nicht mehr die allgewaltige Strenge gewohnt, wie sie einst von Herrn Achmed ausging, sie setzen sich gar solche Dinge in den Kopf, wie sich selbst eine Ehefrau auszusuchen, ohne Beachtung von Standesfragen, ob das der Familie nun passt oder nicht. Während im zweiten Teil völlig abhanden gekommen, schlägt die Politik im dritten Teil doppelt stark durch. Wir befinden uns im zweiten Weltkrieg, man ist eigentlich nicht so richtig aber doch irgendwie für Deutschland, weil man gegen England ist, Ägypten strauchelt weiterhin um seine Unabhängigkeit. Die Kluften ragen bis in die Familie al-Gawwad hinein: im gleichen Haus in der Sukkariye finden, organisiert von den Brüdern Abd al-Munim und Achmed, geheime Treffen sowohl von Muslimbrüdern, als auch von Kommunisten statt. Soweit ist der dritte Teil sehr gut, ich fand es aber etwas schwierig, mich in die neuen Protagonisten einzulesen, die in der Kürze eines einzelnen Buches etwas oberflächlich bleiben, während die gewohnten Charaktere schon tausend Seiten Zeit hatten, sich zu entwickeln, und im Herzen des Lesers Wurzeln zu schlagen. Dies gelingt sogar dem geliebt-gefürchteten Familienoberhaupt, das die Familiensaga eröffnet und auch wieder beendet, selbst um ihn ist man letztlich recht traurig.
Ich hoffe, ich habe nicht zu viel gespoilert, kurz gesagt: das Buch, bzw. die Bücher, sind absolut lesenswert und im Gesamtwerk kann man auch über kleinere Schwächen hinwegsehen. Fünf Sterne, ganz klar. Ich werde jedenfalls alles, was ich hier in der Bibliothek von Machfuz finde, verschlingen. Lesen!, wie Frau Heidenreich sagen würde, und das ist ein Befehl.
Ansonsten in letzter Zeit gelesen: Lion Feuchtwanger - Die Jüdin von Toledo, eine jüdisch-christlich-königliche Liebe und ihre Folgen im spanischen Mittelalter, ein Klassiker, spannend, lehrreich, weise, überraschend flüssig zu lesen, ebenfalls ohne jeden Zweifel fünf Sterne;
*Thomas Mann - Die Buddenbrooks, vergleichshalber, natürlich auch sehr gut und fünfsternig, der Vergleich von Mann und Nachfus erfolgt hier zurecht, mein Buddenbrook'sches Lieblingszitat: "Nicht mal die Lampen sind angezündet - Dat geiht dann doch tau wied mit de Revolution!"
Was guckst du, alda?
Küchen-Katzen
Das sind Itzy, Bitzy, Freckles und Frockles, im Alter von wenigen Wochen und circa vier bis fünf Monaten, sowie ihre Eltern.
Eigentlich wollte ich ja erst gar nichts über diese Miezen schreiben und Katzencontent vermeiden. Aber mittlerweile sind diese Biester so omnipräsent in meinem Alltag geworden, da muss ich doch mal ihre Geschichte erzählen...
Es begab sich aber zu der Zeit, als der April dem Mai wich, da suchte eine damaszener Straßenkatze nach einem Platz, um ihre Jungen zu gebären. Sie hatte es nicht leicht, denn die damaszener Menschen mochten Katzen nicht besonders, die Kinder ärgerten sie und die Erwachsenen verscheuchten sie, wenn sie auf der Suche nach ein wenig Nahrung ihren Müll durchwühlte. Schließlich fand sie einen Platz, der etwas Ruhe versprach, eine kaum genutzte Küche in einem alten Haus, die voller Plunder und Gerümpel war und herrliche Versteckmöglichkeiten bot. Selbst wenn einmal ein Mensch hier herein käme, dort oben, in die hinterste Ecke des Vorsprungs, hinter lauter Kisten und Kram würde er nicht so leicht kommen können, vielleicht würde er sie nicht einmal entdecken. Der Plan der Straßenkatze ging auf. Sie brachte ihre Kinder ungestört von menschlichen Störenfrieden zur Welt. Leider jedoch war das Leben außerhalb ihres geschützten Kindbettes nicht besser geworden und es war schwer, für die vier Racker, die sie geboren hatte, genug zu essen zu finden. Das klägliche Miauen der hungrigen Babykatzen rief dann auch natürlich die Menschen in diesem Haus auf den Plan. Was die Straßenkatze bis dahin nicht gewusst hatte: sie hatte, indem sie dieses Haus auserwählte, die beste aller möglichen Optionen gewählt, denn hier lebte eine junge Frau, die angesichts einer Katze sofort in Verzückung geriet und nie im Leben einer Mieze, geschweige denn ein paar hilflosen, kläglich maunzenden, mit halbgeschlossenen Augen in die Welt blinzelnden Katzenbabys irgendeinen Schaden zugefügt hätte, nein im Gegenteil, sie nahm sich sofort ihrer an. Die Straßenkatze misstraute ihr zutiefst, ein netter Mensch, das war in etwa eine so sinnvolle Wortkombination wie eine gehorsame Katze. Aber die Frau stellte jeden Tag einen Teller mit Essen in die Küche, nachdem erste Annäherungsversuche mit einem sehr deutlichen Fauchen beantwortet worden waren, und dazu konnte die Straßenkatze nun wirklich nicht nein sagen...
Nach einigen Wochen waren ihre Kleinen nicht mehr ganz so klein und die Straßenkatze entschloss sich, sie ein wenig in die große weite Welt einzuführen. Noch immer misstraute sie der Frau, aber bislang war ja alles gut gegangen mit ihr, und so nahm sie die Kinder mit in den ersten Stock, denn sie waren jetzt schon groß genug, die Treppe alleine zu erklettern. Dort standen vor der Wohnungstür ein paar große Blumenkübel, die bestens zum Schlafen geeignet waren. Die Kleinen bewunderten diese neue Welt, in der die Sonne schien, aber diesen beiden Menschen, die da andauernd an ihnen vorbeikamen, aus der Wohnung kamen oder hineingingen, denen trauten auch sie nicht. Die Mutter hatte ihr Misstrauen gegen Menschen ihnen gegenüber deutlich gemacht. Immer wenn einer dieser Menschen ihnen zu nahe kam, sie sogar anfassen wollte, fauchten sie und dann lachten die Menschen. Denn ihr kleines Kinderfauchen war nun so gar nicht bedrohlich und bedurfte noch einiger Übung.
Drei von den Kleinen hatte die Straßenkatze hier hoch gebracht, aber irgendwann entdeckte die Frau, dass immer noch ein Kätzchen unten in der Küche war, ganz klein, noch immer die Augen halb geschlossen, krähte es lauthals nach der Mutter, nach Futter, nach Aufmerksamkeit. Die Straßenkatze hatte es hier unten gelassen, denn es war noch zu klein, um die Treppen selbst zu erklettern. Vielleicht hätte das Kätzchen nicht überlebt, denn die Mutter musste schon all ihre Reserven für die anderen drei verwenden, aber die Frau gab dem Kleinen Milch und Wurststückchen, und nach ein paar Tagen kletterte sie gar dort hinauf, holte das Kleine und brachte es nach oben zu seiner Familie. Dort vor der Wohnungstür der seltsamen Frau - und dem seltsamen Mann gleichermaßen - blieben die fünf in der nächsten Zeit, sie bekamen jeden Tag Milch, Brot und Wurst, manchmal auch noch tollere Leckereien, die die Menschen selbst nicht aufgegessen hatten, sie bekamen sogar eine Plastikwanne mit einem alten Pullover darin zum Schlafen und einen Faden mit einem Aluminiumball daran zum Spielen. Alle entwickelten sich prächtig, selbst der kleine Nachzügler, der es fast nicht geschafft hätte. Die Annäherungsversuche der Menschen waren den Kindern immer noch unheimlich, die Mutter ließ sowieso niemanden an sich heran. Aber als ihre Kleinen sich langsam an die Menschen gewöhnten, in deren Wohnung gingen, sich streicheln und irgendwann sogar hochheben ließen, da akzeptierte sie das, legte sich aber in die geöffnete Wohnungstür und hielt ein bisschen Wache. Man wusste ja nie...
So ging es die nächsten Monate, die Kleinen wurden immer zutraulicher - nur eines von ihnen schlug nach der Art der Mutter und ließ sich kaum anfassen, aber auf das Essen wollte auch dies nicht verzichten. Die Mutter hingegen kam immer seltener vorbei, schließlich kam sie nur noch alle paar Tage, weil die Frau ihr immer etwas zu essen gab, das sie jetzt schon gegen ihre eigenen Kinder verteidigen musste. Die Vier hingegen beschlossen, bei der netten Frau und dem fast genauso netten Mann zu bleiben, jeden Morgen standen sie schon vor der Tür und maunzten, sobald sie die ersten Geräusche im Innern hörten, sie ließen sich füttern, streicheln (bis auf den einen Einzelgänger), sie spielten und balgten. Abends mochten sie gar nicht raus, aber da blieben die Menschen hart. Im gleichen Bett schlafen, soweit kommt es noch. Die Frau hätte sie bestimmt sogar gelassen, aber der Mann mochte keine Katzenhaare, und Dreck von schmutzigen Katzenfüßen in seinem Bett. Tagsüber aber schmusten die drei (Nummer Vier mochte ja nicht) auf Teufel komm raus mit den Menschen, ganz besonders das Kätzchen, dass wohl nur dank dieser Menschen überlebt hatte. Irgendwann erwachte der Geschlechtstrieb und die Vier bestiegen sich gegenseitig, was aber nur Trockenübungen sein konnten, hatte doch die Straßenkatze es fertiggebracht, tatsächlich vier Jungen und kein einziges Mädchen auf die Welt zu bringen. Einer aber hing dieser Entwicklung etwas hinterher, er versuchte stattdessen, bei seinen Geschwistern zu trinken, was zwar genauso zum Scheitern verurteilt sein musste, aber ihn ebensowenig davon abhielt, es fortzuführen. Zwei von ihnen wurden einmal vergiftet, nach dem sie eine ebenfalls vergiftete Kakerlake gefuttert hatten, aber die Frau und der Mann kümmerten sich auch dann um sie, und nach einem Tag wankten sie nicht mehr halb betäubt umherfallend durch die Gegend...
Viele weitere Geschichten zum Erzählen haben die vier Racker der Frau schon beschert. Aber die Frau fragt sich, was sie nur mit diesen anhänglichen Schmusern machen soll, wenn sie bald von hier fortgeht. Sie mag zwar die Kleinen, aber etwas mehr harte Wirklichkeit täte den Kleinen wohl doch ganz gut, wenn sie sich irgendwann selbst als Straßenkater behaupten sollen. Hätte sie die Grenze beim Futter rausstellen ziehen sollen und die Vier niemals in die Wohnung und auf ihren Schoß lassen? Oder ist es gut, dass sie wenigstens eine Zeit lang ein nettes Heim hatten, wie auch immer es in der Zukunft für sie aussehen mag?
Dieser Beitrag nimmt am ShopChop-Gewinnspiel und am MaunzBlog-Gewinnspiel Teil. Wenn ihr auch was für eure Stubentiger gewinnen wollt,schaut dort mal vorbei! Ich rechne nicht damit, etwas zu gewinnen und "meine" syrischen Fellnasen hätten auch nichts von dem Gewinn, aber ich habe auch zwei Katzen in Deutschland, die im Moment bei meiner Mutter verweilen. Es wär also nicht vergebens ;)