Freitag, 1. Oktober 2010

In der Höhle des Löwen (Eine Fabel)

Neulich mussten wir ja wegen unserer Ehepapiere in die Zentrale Bürgerservice, nachdem die netten Herren sonst immer so freundlich waren, uns den Weg abzunehmen und sogar Hausbesuche machten. Ein gut gesichertes Gebäude, alle elektronischen Gerätschaften müssen abgegeben werden, Taschenkontrolle, Abtasten (na gut, ich nicht). Was das Gebäude sonst noch so in sich hat, erfahre ich jetzt von einem Bekannten, dem die Services der netten Herren ganz besonders intensiv in Erinnerung geblieben sind. Dieses Gebäude, sagt er, hat nicht nur nach oben hin fünf Etagen, sondern mindestens genauso viele nach unten, dort befinden sich dann die Räumlichkeiten für die -räusper- Intensivbehandlungen, die dort auch ihm zuteil wurden. Au weia, und in dem Haus war ich selbst drin? Ja, seufzt der Bekannte, froh ist er, dass wir gesund und munter wieder herausgekommen sind, hätte er schon im Voraus von unserem Besuch dort gewusst, wären ihm vor Sorge wohl Hören und Sehen vergangen. Wir haben zwar keinen Dreck am Stecken, aber ein bisschen auf den Busch klopfen, ob nicht doch irgendwas Gestehenswertes herausgekrochen kommt, da stehe denen immer mal der Sinn nach. Bei Ausländern als Zeugen trauten sie sich das dann aber wohl doch weniger, Glück für uns. Vor einiger Zeit sei sein Onkel wegen irgendwelcher Papiere dort vorstellig geworden, und dann hätten sie ihn erstmal über seinen Bruder, also unseres Bekannten zweiten Onkel ausgefragt, der war nämlich früher mal in einen Autounfall verwickelt, bei dem ein Staatsdiener verletzt wurde, und den würden sie bestimmt gerne in die Finger bekommen. Nein, den habe er schon seit ewiger Zeit nicht gesehen, die Familie sei mit ihm zerstritten, niemand wisse, wo der Bruder stecke. Glücklicherweise wusste man nichts Gegenteiliges und war auch nicht in der Laune, eine besser gefällige Antwort aus ihm herauszuhauen. Wieviel doch von der Laune eines Beamten abhängen kann. Zum Glück ist die nicht immer schlecht, immerhin können die höheren Beamten nach einem Tag voller Kaffee-, Tee- und Zigarettenpausen, unterbrochen hier und da von mittelschwerer Arbeit, nach Hause gehen, während die jungen Pimpfe, die ihnen tagein, tagaus die Akten durch die Flure tragen, stets dort bleiben, die Zentrale ist ihr graues, dreckiges Tag- und Nachtquartier. Was für ein Leben, was für eine fremde Welt. Meine Vorstellungskraft erschaudert unheimlich beim Versuch, einer dieser Jungen zu sein, und wendet sich ab. Andererseits, permanent auf überlebensgroße Porträts des alten und des neuen Löwen starren zu müssen, ist wahrscheinlich auch für die mit mehr Privilegien kein übermäßiger Freudensquell.

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