Khalil Gibran - Der Prophet
Eure Kinder sind nicht eure Kinder.
Sie sind die Söhne und Töchter der Sehnsucht des Lebens nach sich selber.
Sie kommen durch euch, aber nicht von euch,
Und obwohl sie mit euch sind, gehören sie euch doch nicht.
Ihr dürft ihnen eure Liebe geben, aber nicht eure Gedanken,
Denn sie haben ihre eigenen Gedanken.
Ihr dürft ihren Körpern ein Haus geben, aber nicht ihren Seelen,
Denn ihre Seelen wohnen im Haus von morgen, das ihr nicht besuchen könnt, nicht einmal in euren Träumen.*
Dieses Zitat stammt von Khalil Gibran, einem berühmten libanesischen Autor, und es stammt aus seinem berühmtesten Werk
Dieses schmale Bändchen ist eine Sammlung der Lebensansichten und Weisheiten, die der Autor im Laufe seines Lebens gewonnen hat. Das Buch beginnt mit der geplanten Abreise des "Propheten" aus der Stadt, in der er viele Jahre geweilt hat. Die Bewohner bitten ihn, ihnen einige Fragen zu beantworten, damit sie auch ohne ihn eine Rechtleitung an der Hand haben. Sie fragen ihn zu so verschiedenen Themen wie Liebe, Ehe, Kinder, Arbeit, Schmerz, Geben, Häuser, Kleider, Gesetze, Freiheit... Zu jedem Thema spricht der Prophet seine weisen Worte und als sie schließlich das letzte Thema, "Tod", abgeschlossen haben, segelt der Prophet davon.
Nun fällt es schwierig, ein so hochgelobtes Buch und einen so berühmten Autor zu zerreißen, also will ich es vorsichtig formulieren: er hat das Rad nicht unbedingt neu erfunden. All die weisen Worte, blumig, wie es im Arabischen üblich ist, ausformuliert, bieten, so scheint es mir, letzten Endes nicht viel. Vieles davon lässt sich in weniger üppiger Ausformulierung in jedem Ratgeber finden ("Liebt einander, aber macht die Liebe nicht zur Fessel: Lasst sie eher ein wogendes Meer zwischen den Ufern eurer Seelen sein." - Von der Ehe), vieles ist redundant, manches ist höchst fragwürdig und bringt mich sehr zum Stirnrunzeln ("Der Rechtschaffene ist nicht unschuldig an den Taten des Bösen, und der mit sauberen Händen ist nicht rein von den Taten des Missetäters." - Von Schuld und Sühne). In der schon etwas älteren Übersetzung, die ich gelesen habe, wurde dies noch ausführlicher dargestellt, der Beraubte sei Schuld, dass er beraubt wurde, der Ermordete, dass er ermordet wurde etc. Es spricht für sich, dass dieses Stück in anderen Übersetzungen offenbar fehlt. Alles in allem kann ich in dem Buch nichts finden, was mich inspirieren, mir neue Einsichten eröffnen, meine Gedankenwelt bereichern würde.
Letzten Endes kann ich als Positives dem Buch lediglich abgewinnen, dass es, in guter Übersetzung (wobei ich hier keine Empfehlung geben kann), einige hübsche Sinnsprüche bietet, die in Schönschrift dahingepinselt recht nett an der Wand aussehen. Nur einen Stern zu vergeben fällt mir trotzdem schwer, aber wofür genau der zweite ist, das weiß ich auch nicht...
* dieses Zitat und die folgenden zitiert nach Aandesound
Dem obigen Zitat
Finde ich ziemlich absurd und abartig von dem Propheten, den Opfern die Schuld zu geben. Es mag zwar Grenzfälle in diesem Bereich geben, aber das ist doch weit hergeholt.
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