Eine Zugfahrt, die ist lustig
Um Mitternacht stehen wir also wieder am Bahnhof und versuchen, herauszufinden, wo unser Wagon ist. Da ist sehr unterhaltsam, denn mit der ausländisch aussehenden Frau an seiner Seite fällt auch mein Mann sofort in die Gedankenschublade "Ausländer" und wenn er, auf Englisch oder auf Baby-Arabisch angesprochen, darauf hinweist, dass er Syrer ist, gucken die Leute wie ein Bauklotz und glauben es kaum. EIn witziges Schauspiel, dass sich noch vielfach wiederholen wird. Ein Mann schickt uns dann ganz ans Ende des Zuges, aber dort ist, mal abgesehen vom Fahrerwagon, nichts. Auf Nachfrage werden wir diesmal wieder ans Ende des Zuges geschickt, nur eben an das andere. Der Zug ist nicht eben kurz und wir schleppen doch ein paar Gepäckstücke mit uns herum, mein Stimmungsbarometer steht auf leicht gereizt. Man kann mit großer Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass Wegweiser Nummer eins genau wusste, dass er nicht genau weiß, wo wir hinmüssen. Aber bevor er das je zugeben würde, schickt er uns lieber irgendwo hin, vielleicht stimmt's ja. Irgendwann finden wir aber unser Zimmerchen, zwei Betten, eins über dem anderen, ein Schrank, eine Ablage, spartanisch aber zweckdienlich.
Die Fahrt beginnt pünktlich. Ich habe mich auf der unteren Pritsche niedergelassen und meinen Mann, der stets beteuerte, ihm sei das völlig gleich, ob er unten oder oben schläft, direkt unter die Klimaanlage verbannt. Später wird er sich darüber beklagen, und vielleicht ist die Klimaanlage auch die Ursache seiner Erkältung, die er gerade mit sich herumträgt, aber er hätte ja nur mal was sagen brauchen und wir hätten getauscht, mir kann so eine Klimaanlage nix anhaben. Nee, lieber erst schweigen und dann krank werden. Männer. Der Zug aber ist schon längst krank, scheinbar chronischer Schluckauf. Das Geruckel macht jedenfalls keinen gesunden Eindruck. Alle halbe Stunde oder so bleibt er stehen, mal nur für ein paar Sekunden, mal mehrere Minuten, dann fährt er mühsam wieder an, ruckelt dabei eifrig hin und her, so dass ich immer fürchte, dass er gleich von den Gleisen kippt. Schon jetzt steht fest: auf der Rückfahrt wird das Verkehrsmittel gewechselt (wir werden schließlich mit dem Bus fahren, das geht schneller und ruckelfreier). Anfangs schaue ich noch in die Sterne hinaus, und - nein! - ich sehe tatsächlich eine Sternschnuppe. Schnell was wünschen! Diese Kombination Fernzug - Fremde - Schlafwagen - Nacht - Sternschnuppe löst ein eigenartiges Gefühl aus, nicht romantisch oder so, eher so eine Ahnung, als wäre dies der optimale Augenblick, um eine geniale Inspiration zu haben, die in einen Jahrhundertroman mündet. Vielleicht hat Virginia Woolf mal so eine Fahrt gemacht. Aber ich bin kein Jahrhundertschriftsteller und so bleibt es bei diesem Blogeintrag. Über solchen Gedanken schlafe ich ein und auch wenn es ein erschöpfender, durchgerüttelter Halbschlaf ist, wache ich erst wieder um sechs Uhr richtig auf, als der Schaffner an die Tür klopft, um uns vor der Ankunft zu wecken. Es dauert dann doch noch bis sieben, bis wir wirklich da sind. In der Zwischenzeit stehe ich mit einer Zigarette am Fenster und blinzele in den Morgen. Ein alter Wagen mit bäuerlich gekleideten Frauen zuckelt in einiger Entfernung über die Klippen. Mein Mann setzt dem Saudi (sieht zumindest der Kleidung nach so aus) aus der Nebenkabine wiederum auseinander, dass er kein Ausländer ist und Arabisch sprechen kann. Später neugieriges Getuschel: Der spricht Englisch mit der Frau. Und die Frau raucht. Ja, er selbst ja auch, aber wenn Frauen rauchen ist das offenbar irgendwie obszön. Ich komme mir ein bisschen vor wie ein Paradiesvogel, dabei bin ich höchst dezent und bedeckt gekleidet. Schon in Damaskus bin ich immer "irgendwie anders", aber die Damaszener sind ja noch am ehesten "kosmopolit" in diesem Land. Zum Glück geht es nach Aleppo, noch immer eine Großstadt, wenn auch wesentlich konservativer, und nicht in irgendein verschlafenes dörfliches Nest.
Gedankenunterbrechung: wir sind da! Alle aussteigen!
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