Samstag, 28. August 2010

Syrische Blogparade

Wirklich, ihr dürft mitmachen. Ihr müsst natürlich nicht. Andererseits wäre wenigstens ein Beitrag doch schön. Sonst ess ich all die Leckereien alleine!

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Hiermit eröffne ich *feierlich* (tamtamtataaaa) die Syrische Blogparade. Jeder, der schon einmal in Syrien war / in Syrien ist / sonst irgendeinen Bezug zu Syrien hat, der ihn befähigt, etwas über das Land zu schreiben, ist herzlich eingeladen, teilzunehmen und einen Artikel in seinem Blog zu veröffentlichen. Neben dem Oberthema "Syrien" gibt es keine thematischen Einschränkungen, Artikel über Erfahrungen mit Land und Leuten sind ebenso willkommen wie politische Erörterungen, touristische Betrachtungen, Lobgesänge auf kulinarische Spezialitäten... seid kreativ. Der beste Beitrag (Achtung, subjektiv, kein Rechtsweg!) gewinnt ein Überraschungspaket mit syrischen Leckereien. Alle anderen Teilnehmer bekommen (falls gewünscht...) einen "I love Assad" - Magneten.

Schickt eine E-Mail mit dem Link zu eurem Beitrag an mia-meine-mia [ätt] mailueberfall.de. Einsendeschluss ist der 31.08.2010.

Freitag, 27. August 2010

Suq Hamidiye

Heute wollen wir einmal gemeinsam durch den Suq Hamidiye spazieren. Eingänge befinden sich beispielsweise gegenüber der Omayyadenmoschee und am Ende der Geraden Straße. Der Suq (Markt) ist überdacht und lädt somit gerade an heißen Tagen, an denen die Sonne erbarmungslos rote Farbe auf die Haut nichts gewohnter Touristen aus kühleren Breitengräden brennt, zum Bummeln ein. Ganz ist die Sonne aber nicht ausgesperrt: das Blechdach ist übersät von Einschusslöchern, die die Franzosen hier hinterlassen haben, am Tag lassen sie das Licht durch, in der Dunkelheit erscheint über den Köpfen der Suq-Durchwanderer ein künstlicher Sternenhimmel.

Verkauft wird hier alles, was nicht bei drei auf den Bäumen ist: Kleidung und Stoffe in allen Formen, Farben, Stilen; Schmuck, Spielzeug, Süßigkeiten, Gewürze, Haushaltswaren von Aschenbecher bis Zellophanfolie, Handwerksbedarf, Chemikalien und und und. Zu den Ladenbesitzern gesellen sich die fliegenden Händler mit Getränken, Zigaretten, elektronischen Plüschkatzen und allem was man sonst so braucht oder auch nicht braucht. Jede Seitengasse bringt neue Wunderlichkeiten an den Tag, undefinierbare Gewürzberge, die ihr Aroma durch die ganze Gasse verbreiten; die heißeste Reizwäsche, die man den nach außen hin oftmals so konservativen und verstockten Frauen im Leben nicht zugetraut hätte; ein fliegender Händler, der versucht, ausgestopfte Falken an den Mann zu bringen (wer kauft denn sowas...?).

Mit einem erfrischenden Pistazieneis oder einem Becher Tut Shami - ein süßes, eisgekühltes Brombeergetränk - in der Hand kann man so einige Zeit damit verbringen, durch diese Gassen zu schlendern. Obacht gilt auch hier, wenn man sich entschließt, einmal etwas zu kaufen. Die syrischen Händler tuen nichts lieber als ihre Kunden über's Ohr hauen, das darf man nicht allzu böse nehmen, auch wenn das manchmal schwerfällt, es ist halt eine Art Volkssport. Die Einheimischen sind geübt darin, sich nicht über's Ohr hauen zu lassen, Ausländer eben nicht. Bei den Preisen kann man deshalb nicht viel machen, aber man sollte zumindest aufpassen, anständige Ware zu kriegen. Ich habe einmal so eine Seifenblasenpistole gekauft (nicht für mich, für ein Kind!), und habe mir vom Händler ein Modell in geöffneter Packung andrehen lassen. Das war dann natürlich schon kaputt, aber gemäß seiner Erwartung habe ich das natürlich erst daheim gemerkt. Am besten lässt man sich das Vorzeigemodell geben, denn das funktioniert ja offenbar.

Es ist ein wimmelnder Suq, voll von Touristen aus aller Herren Länder - EuropäerInnen, AmerikanerInnen, aber auch IranerInnen oder AraberInnen aus den Golfstaaten sieht man hier zuhauf. Ebenso erledigen einige Syrer hier ihren Einkauf an Alltagswaren - Schulrucksäcke, Geschirrabtropfgestelle, Socken - wenn auch weniger zahlreich, da die Preise im Schnitt etwas höher liegen als in den weniger bekannten Suqs der Stadt. Läden, die ähnliche Waren anbieten, finden sich nicht über den Suq verteilt, sondern Reih an Reih in der gleichen Ecke, ein Konzept, dass sich dem Konkurrenz-Modell in den Köpfen westlicher Beobachter nicht unbedingt auf Anhieb erschließt, aber es funktioniert. Es scheint sich ein Gleichgewicht einzupendeln, wie viele Läden der gleichen Art an einer Stelle koexistieren können und dabei allen Ladenbesitzern ein ausreichendes Einkommen sichern. Ist dieses Gleichgewicht gesichert, verliert auch der Konkurrenzgedanke seine Dringlichkeit und die Verkäufer schicken einen fröhlich in den Nachbarladen, wenn sie nicht einhundertprozentig das haben, wonach man sucht, anstatt einem die eigenen Waren aufschwatzen zu wollen.

Wer nach Damaskus kommt, darf den Suq Hamidiye keinesfalls verpassen, erst hier fühlt man sich so richtig "im Orient angekommen"!

Suq Hamidiye I Suq Hamidiye II Suq Hamidiye III Suq Hamidiye IV Suq Hamidiye V Suq Hamidiye VI Suq Hamidiye VII Suq Hamidiye VIII

Die Fotos zum Artikel "Suq Hamidiye" können frei verwendet werden und sind bei dieser Blogparade als lizenzfrei gemeldet, ein Link zu dieser Seite als Quellenangabe wäre jedoch erfreulich.

Alle anderen Bilder auf der Seite http://watchingthewheels.twoday.net bedürfen vor der Weiterverwendung einer Anfrage an mia-meine-mia@mailueberfall.de !

Donnerstag, 26. August 2010

Volker Perthes: Geheime Gärten

Was ist ein geheimer Garten? Das ist sinnvollerweise eine der ersten Fragen, nachdem man den Titel dieses Buches zur Kenntnis genommen hat:

Geheime Gärten. Die neue arabische Welt

Von geheimen Gärten sprach, so erfährt man dann, der marokkanische König Hassan II., wenn er einen hübschen Euphemismus für die Gefängnisse brauchte, in denen die Opposition scharenweise saß. Perthes gebraucht den Ausdruck als "Metapher für den Despotismus autoritärer arabischer Herrscher". Sein Buch ist ein Glanzstück der Wissensvermittlung über die Region. Perthes glänzt durch Sachkenntnis, scharfsichtige Analysen, aber eben auch durch die Fähigkeit, beides in einen Text zu verwandeln, der sich nicht - wie leider so oft bei Sachbüchern - liest wie Spekulatius vom letzten Weihnachtsfest, sondern flüssig, spannend, ohne endlose Aneinanderreihungen von Daten, Zahlen, Namen. Ein paar Tage muss man natürlich dennoch einplanen, 450 Seiten Wissen lesen sich nicht nebenher weg wie ein Agatha Christie-Roman.

Das Buch geht zunächst in die Breite, dann in die Tiefe: im ersten Teil des Buches beschäftigt sich der Autor mit der Region im Ganzen, zunächst in einem historischen Rückblick, der in den vierziger Jahren ansetzt und durch seine immer wieder notwendigen Rückbezüge auf Israel klar macht, wie stark die Ereignisse um die Entstehung und Existenz dieses Landes die ganze Region beeinflussen. Anschließend gibt Perthes eine generelle Übersicht über die aktuellen sozialen, ökonomischen und politischen Entwicklungen. Im zweiten Teil dann widmet der Autor sich den einzelnen Ländern. Unters Mikroskop kommen: Ägypten, Israel und Palästina, Syrien, Libanon, Jordanien, Irak, die Golmonarchien und der Maghreb. Die einzelnen Analysen sind tiefgründig, fundiert, interessant und aufschlussreich. Abschließend folgt im dritten Teil eine Einschätzung der zukünftigen Entwicklungen in der Region, deren Treffgenauigkeit sich noch wird erweisen müssen, die aber auf jeden Fall mehr ist als Kaffeesatzleserei, sie ist im Gegenteil auf all dem Fachwissen und Fakten gebaut, das in den vorigen Kapiteln entfaltet wurde.

Wer sich mit der Region beschäftigt, dem sei das Buch dringendst empfohlen, es gibt nicht viel qualitativ Vergleichbares!

5 Sterne

Orientalische Promenaden

Mittwoch, 25. August 2010

Kreuzung mit Verkehrspolizei

Kreuzung mit Verkehrspolizei

Dienstag, 24. August 2010

Geht's dich an?

Leute, die stets besser wissen als man selbst was gut für einen ist, gibt es leider viel zu oft. Manchen kann man aus dem Weg gehen, manche ignorieren, manche muss man ertragen. Besonders verrückt wird es, wenn man sich freiwillig in ihre Gesellschaft begibt. Warum tue ich das also? Nun, einerseits ist mein Bekannter ansonsten wirklich ganz nett. Andererseits fällt unser Umgang miteinander vermutlich vorrangig in die Kategorie "kulturelle Neugier". Ich lerne etwas über syrische - junge - Muslime, er lernt etwas über die Mentalitäten deutscher - junger - "christlicher" Frauen, wobei ich eigentlich sogar stellvertretend für ganz Europa wahrgenommen werde. Das kann mitunter sehr anstrengend sein, denn jeder Halbsatz, jede individuelle Verrücktheit, jede Meinungsäußerung formt sein Bild von Millionen von Menschen. Was für eine Verantwortung. Es hilft natürlich andererseits dabei, sich vor Augen zu halten, das er ebenso ein Individuum ist und kein Vertreter des "typischen syrischen jungen Muslims". Trotzdem kann man natürlich beiderseits grob verallgemeinernd etwas über die Kultur des anderen lernen.

Bekehrungs- bzw. Korrekturversuche kann er sich aber offenbar nicht verkneifen. Hier drei Beispiele:

  1. Ich rauche, er nicht. Und das tut er sehr überzeugt. Nun gut, ein Hinweis, dass ich das Rauchen besser bleiben ließe, geschenkt. Vor allem eines: er hat ja recht. Aber das ist ja nun vorrangig mein Problem und mehr als den einen Hinweis braucht es wirklich nicht - bekommen tue ich derlei Hinweise natürlich trotzdem zahlreich. Schließlich aber kommentiert er krönenderweise in Anwesenheit meiner Freundin, dass nur ein echter Freund sei, wer einen vor Schaden zu bewahren versuche. Also er, während sie sich ja nicht darum kümmert, was ich mit meiner Gesundheit anstelle. Daraufhin sind wir beide ein bisschen pampig, was ihn in der Folgezeit veranlasst, seine Hinweise subtiler platzieren zu wollen. Wie man sehen wird, ist Subtilität aber nicht gerade eine seiner Stärken.
  2. Bei einer kleinen Geburtstagsfeier mit Kuchen und Saft reden wir über die Art, wie Geburtstage in unseren "Welten" zelebriert werden. Da in meiner Schilderung auch Alkohol auftaucht, schlägt er einige Zeit später, als das Thema schon längst abgehakt ist, in die Kerbe und möchte das Thema Drogen, ihren schädlichen Einfluss auf die Gesellschaft und die notwendigen Reaktionen der Politik diskutieren. Er hat aus der vorigen Geschichte begriffen, dass ich mir nicht gerne erzählen lasse, was ich seiner Meinung nach konsumieren sollte und was nicht, von daher spricht er nicht direkt über Alkohol, aber es ist mir schon klar, dass er genau darauf hinaus will.
  3. Bis hierher waren die ungefragten Verhaltenshinweise zwar nicht willkommen, aber ignorierbar. Aber er wäre nicht er, wenn er nicht eine Krönung parat hätte. Wir haben uns längere Zeit nicht gesehen, und seit ich geheiratet habe, war er noch nie bei meinem Mann und mir zu Hause. Das muss nachgeholt werden, also lade ich ihn ein. Was er von unserem bescheidenen Reich hält, in dem nur Saft und Kekse serviert werden, und nicht wie in seiner Familie ganz groß aufgedeckt, das wäre auch nochmal interessant. Eine Meinung muss er aber unbedingt loswerden: er habe ja bisher noch keine Frau, aber wenn er in den nächsten Jahren keine finde, dann werde er solo bleiben, denn irgendwann sei es ja zu spät zum Heiraten (er ist gerade mal Anfang zwanzig), und ab einem gewissen Alter solle man auch keine Kinder mehr bekommen, das sei nicht gut für sie, mit alten Eltern aufzuwachsen. Dazu sollte man wissen, dass ich zwar noch relativ jung bin, mein Mann aber so einige Lenze mehr zählen kann als ich. Was der Bub also gerade zu uns gesagt hat, ist: Setzt bloß zusammen keine Kinder in die Welt!

Das ist also, ja was soll ich sagen, sowas von unverschämt, da fehlen mir die Worte. Mir vom Rauchen abzuraten, fein, aber sich derartig in meine Familienplanung einmischen zu wollen, ich glaub, es hackt. Ich kommentierte das in dem Moment dann auch nicht weiter, aber jetzt hab ich von Kulturaustausch erstmal für eine Weile genug.

Montag, 23. August 2010

Taxifahrer des Jahres (Taxi, Taxi IV)

Zunächst muss ich etwas ausholen und auf die Verkehrssituation hier in Damaskus zu sprechen kommen. Sie ist im Vergleich zur durchreglementierten StVO extrem bescheiden. Ampeln gibt es nur ab und an, Zebrastreifen noch seltener, Blitzer erst seit kurzem, und all das interessiert eigentlich auch niemanden. Na gut, die Blitzer vielleicht schon. Mag ja niemand Strafe zahlen. Aber das Damaszener Verkehrsproblem hat weniger mit überhöhter Geschwindigkeit zu tun, sondern mehr mit völlig überfüllten Straßen. Und wer steht schon gerne im Stau oder Stop-and-go? Also wird gedrängelt, gehupt, geschnitten was das Zeug hält. Niemand kommt auf die Idee, dass dieses Verhalten kontraproduktiv ist und den Verkehrsfluss nicht wirklich beschleunigt. Es führt eher zu Situationen, in denen schließlich gar nichts mehr, weder vor-, noch rück-, noch seitwärts geht und alle sich mühsam irgendwie aus der Verknotung von mehr Autos als Fahrstreifen mühen, inklusive dem aus der Seitenstraße kommenden LKW, der jetzt die komplette Fahrbahn blockiert und nicht mehr wegkommt, weil die Autos ihn eingekesselt haben in der Hoffnung, noch irgendwie an ihm vorbeizukommen. Aber anstatt Schildern wie in Deutschland, die besagen "Reißverschlußverfahren anwenden", gibt es Schilder "Zwischen 6 Uhr abends und 6 Uhr morgens Hupen verboten". Ich habe da mal eine interessante Theorie gelesen, dass der Araber gesellschaftlich sozialisiert ist und die Abgeschiedenheit in seiner "Auto" genannten Blechbüchse durch Kommunikation mit der Außenwelt (sprich: Hupen) kompensiert.

Trotz dieses völlig ungeordneten Verkehrschaos, das mehr an das Gewimmel von Kleinstlebewesen in der Ursuppe erinnert denn an eine geordnete Ameisenprozession, hält sich die Zahl der Unfälle in Grenzen. Und die wenigen Unfälle, die dennoch passieren, evozieren vorrangig Blech- und kaum Personenschaden. Schnell fahren geht ja nicht, ist ja alles verstopft, und Unfälle bei Schritttempo sind naturgemäß weniger dramatisch als Unfälle bei 130 km/h. Der klassische Unfall geht in etwa so: Fahrer 1 wechselt schnell mal auf die rechte Spur, weil der stehende Verkehr dort 50m weiter vorne steht, als auf der linken Spur. Fahrer 2 kommt aus der Seitenstraße und rammt dabei dann entweder Fahrer 1 oder andersherum. Auch plötzliche Bremsungen verursachen zahlreiche Unfälle dieser Art, Sicherheitsabstand ist schließlich was für Warmduscher. Viel mehr als ein paar Kratzer im Lack und ein bisschen gesplittertes Plastik passiert dabei nicht, aber das Prozedere muss eingehalten werden: die Fahrer steigen aus, betrachten sich den katastrophalen Schaden, beschimpfen sich gegenseitig lautstark ob der geringen Fahrkünste des anderen und nach einer Weile des Lamentierens steigen sie wieder in ihr Auto und fahren weiter. Sofern der Schaden nicht ausnahmsweise enorm ist, wird der Unfall schließlich so hingenommen, keine Nummern ausgetauscht, keine Versicherung (woher auch?) auf Trab gebracht, den kleinen Schaden behebt der Cousin der Tante der Großmutter als Gefälligkeit zum Sonderpreis. Ich frage mich, ob gemäß obiger Theorie, ein kleiner Auffahrunfall nicht auch vor allem zur Kommunikation mit der Außenwelt inszeniert, eventuell gar bewusst herbeigeführt wird, um der stummen Blechbüchse zu entkommen.

Nun war ich vor kurzem selbst zum ersten Mal direkter Zeuge eines solchen Unfalls und er wollte sich so gar nicht in das Schema fügen, das ich aus meinen bisherigen Beobachtungen herauskristallisiert hatte. Ich sitze im Taxi und schaue so ziellos Löcher in die Luft, als es RuMs macht. Ich falle etwas nach vorn an den Beifahrersitz, aber sonst passiert nichts. Den überfüllten Straßen sei Dank, ich bin immerhin unangeschnallt, anschnallen ist hier ein ähnlich absurdes Konzept wie das Reißverschlussverfahren. Na immerhin, der Beifahrersitz vorne hat meist einen Gurt. Aber da steigt Frau ja nicht ein. Was ist nun passiert? Mein Taxi hat ein anderes Taxi von hinten erwischt. Warum weiß ich nicht, ich hab ja schließlich Löcher in die Luft geguckt. Wahrscheinlich hat der Fahrer vor uns gebremst, und mein Fahrer nicht - oder später als angebracht. Och nö, denke ich, jetzt muss ich hier zehn Minuten sitzen und mir das Gemecker anhören, sowas wie "Du bist Schuld, Sohn eines Esels, du kannst kein Auto fahren, man sollte dir den Taxischein wegnehmen." - "Nein du bist Schuld, du hast nicht aufgepasst. Ich hatte noch nie einen Unfall!". Mein Fahrer fährt den Wagen an den Straßenrand - schon das ein Wunder, es ist doch viel cooler nach einem Unfall mitten auf der Straße stehen zu bleiben und alle anderen an diesem Drama teilhaben zu lassen - und steigt aus. Der Fahrer des anderen Wagens steigt ebenfalls aus und - sie schütteln sich die Hände! Nein sowas, keine Schimpftiraden? Hey, wir sind dir hintendraufgefahren, das kann doch nicht unkommentiert gelassen werden! Aber nein, sie betrachten kurz den Schaden - ein bisschen gesplittertes Plastik, ein paar kleine Kratzer - , beschließen vermutlich, dass es die Mühe nicht wert ist, verabschieden sich und steigen jeder wieder in sein Taxi. Weiter geht die Fahrt.

Wow, ein (nein, zwei!) seelisch ausgeglichene Taxifahrer, gelassen, besonnen, unaufgeregt. Wo hat es das schonmal unter der Sonne gegeben? Und dann zieht er mir am Ende auch nicht das Geld aus der Tasche und flirtet mich nicht an. Wenn ich ihn einmal wiedersehen sollte (was in einer Stadt mit mehr Taxis als normalen Autos unwahrscheinlich ist), dann mache ich ein Bild von ihm und ernenne ihn zum Taxifahrer des Jahres!

Taxi, Taxi VII
Taxi, Taxi VI
Taxi, Taxi V
Taxi, Taxi III
Taxi, Taxi II
Taxi, Taxi

Sonntag, 22. August 2010

Stinktier

Meine Freundin und ich sind zum Essen im Restaurant eingeladen, mit einer syrischen Bekannten ihrerseits. Ich freue mich auf den Abend, bietet er doch Gelegenheit, mal eine "echte Syrerin" kennenzulernen, vielleicht ergibt sich ja ein interessanter Austausch unter Frauen. Weit gefehlt.

Das Drama nimmt seinen Lauf, als meine Freundin viel zu spät zum verabredeten Treffpunkt erscheint. Sie ist irgendwie im undurchsichtigen Netz aus Services hängengeblieben und hat nur mit Müh und Not schließlich hergefunden. Ich konnte nicht alleine vorgehen, um der jungen Syrerin die Wartezeit zu verkürzen, da ich nicht weiß, wo das Restaurant ist. Als wir schließlich - endlich! - dort angekommen, sitzt die Dame nicht mehr alleine dort, sondern mit zwei Studienfreunden, die sie kurzerhand eingeladen hat, damit sie sich nicht so langweilen muss. Nun gut, soll recht sein. Aber da wusste ich ja noch nicht, was für ein unangenehmes Exemplar der Spezies Mensch sich unter der Maske von einem von ihnen verbirgt. Während das Mädchen und einer der beiden Jungs höfliche Konversation pflegen und einen recht schüchternen Eindruck machen, legt sich unser besonderes Exemplar von Anfang an ins Zeug.

Erstmal wird alles abgefragt, was interessant sein könnte: Familienstand, aktuelle Beschäftigung, Freizeitsbeschäftigung usw. Kennenlern-Smalltalk sieht anders aus, es hat mehr den Geschmack eines Kreuzverhörs. Meine Freundin versucht in diesem Verhör, ihre Klippen zu umschiffen (eine nicht durch die Ehe sanktionierte Verbindung mit einem muslimischen Mann), während ich mich durch meine laviere (eine zu diesem Zeitpunkt auch noch nicht eheliche Beziehung mit einem wesentlich älteren Mann, aber zumindest stimmt bei uns die Religion). Das Umschiffen dieser Klippen bedeutet, dass wir beide uns als Single geben, um weiteres Nachbohren in dieser Richtung zu vermeiden. Er würde es ja doch nicht verstehen, wir vermuten, und das korrekterweise, wie sich zeigen wird, eine erzkonservative Einstellung bei ihm. Unser angebliches Single-Dasein hat aber wiederum den Nachteil, dass er glaubt, bei uns landen zu können und so versucht er, all seinen Charme, von dessen überbordender Fülle er ganz offenbar völlig überzeugt ist, zu verspritzen. Leider erinnert das Odeur eher an ein Stinktier. Meine Freundin merkt später an, dass allein schon die Situation - mit zwei Ausländerinnen im Restaurant - genug Angeberstoff für die nächsten Wochen sein dürfte, auch wenn wir ihn eiskalt abblitzen lassen (was er seinen Freunden sicher nicht auf die Nase binden wird, und was er in seiner grenzenlosen Selbstbeweihräucherung vermutlich auch gar nicht bemerkt).

Seine schon vermuteten recht konservativen Einstellungen lässt er dann auch in ihrer ganzen Bandbreite zur Geltung kommen. Dass ich mal Religionswissenschaft studiert habe, ist dafür ein guter Aufhänger. Zunächst mal will er wissen, was das denn eigentlich ist. Sich objektiv mit Religion zu befassen, das ist für ihn wohl nicht vorstellbar und all meine Versuche, ihm den Unterschied zwischen Religionswissenschaft und Theologie näherzubringen, verlaufen im Sande. Es folgt unausweichlich die Gretchen-Frage. "Wie hältst du's mit der Religion?". Ich ignoriere diese so höflich wie ich kann, denn einen gut gepflegten Atheismus möchte ich ihm jetzt wirklich nicht auch noch erklären. Er kapiert aber nicht, dass wenn jemand dreimal auf die gleich Frage nicht antwortet, die Frage vielleicht unangebracht ist und ihn vielleicht auch keinen Furz weit was angeht. Ist ja nicht so, dass er ein alter Freund wäre. Wir kennen uns seit zwanzig Minuten. Dennoch war ich ihm offenbar Rechenschaft schuldig, denn mein stures Ignorieren seiner Frage und stattdessen extremer Konzentration auf die Nahrungsaufnahme führt ihn zur Schlussfolgerung, dass ich bei seinem "Test" (Oder bei meinem Studium? Ich bin nicht sicher, worauf er genau zielt.) durchgefallen sei. Soll mir recht sein.

Ist es überstanden? Nein! Jetzt kommt die nächste Ladung. Immerhin kann ich mich schließlich vorwiegend meinem Essen widmen, denn er hat meine Freundin ins Visier genommen und fragt sie, wie ein Kind ohne seine Eltern wissen soll, wie es sich zu verhalten hat. Hä? Ja, so geht es uns auch. Was will der Junge? Noch dazu ist ja im Übrigen die ganze Konversation in mittelprächtigem Englisch, was nicht immer zur Verbesserung der Verständigung beiträgt. Schließlich hat meine Freundin die Essenz seiner seltsamen Frage in etwa herauskristallisiert: wenn der Mensch keine Kontrollinstanz hat, wie etwa die Eltern, Gott, den Staat, wie soll er sich dann - moralisch - korrekt verhalten können? Das zielt ganz offenbar auf seine Sicht der Europäer, denen die meisten Kontrollinstanzen ja abhanden gekommen seien. Also kann man ja wohl anzunehmen, dass wir völlig triebgesteuert nur noch vögeln und fressen. So drückt er es natürlich nicht aus, er hat ja immer noch das Bild des kleinen Jungen ohne Eltern, aber es ist stark anzunehmen, dass er in etwa darauf hinauswollte. Ebenfalls wie ich zuvor versucht meine Freundin, die Konversation irgendwie versanden zu lassen. Es ist offensichtlich, dass der Kerl seine Fragen nicht stellt, um sein Weltbild zu erweitern, sondern lediglich, um uns seines überzustülpen und uns von seiner Superiorität in religiösen und moralischen Belangen zu überzeugen. Fragen der Verantwortung gegenüber sich selbst, seinen eigenen moralischen Werten, wieviel moralisches Verhalten wert ist, wenn es nicht auf eigenen Überzeugungen beruht sondern nur auf der Angst vor wie auch immer gearteter Strafe, die könnte man mit jemandem, der ernsthaft eine Diskussion sucht, natürlich untersuchen, aber hier kann man sich diese Mühe ehrlich sparen.

Was sind wir froh, als wir endlich gehen können. So eine selbstherrliche Nervensäge kann einem aber auch den ganzen Abend versauen. Selbst seine Freunde sind peinlich berührt und das Mädchen entschuldigt sich später noch dafür, ihn mitgebracht zu haben. Wenn sich schon die eigenen Freunde für einen schämen, dann sollte man sich doch echt mal Gedanken machen...

Samstag, 21. August 2010

Ich und noch wer (anonym)

Ich und noch wer

Mittwoch, 18. August 2010

Ramadan II

In Marokko werden hunderte von Polizisten eingesetzt, um eine Gruppe junger Leute am Picknicken zu hindern. Selbst Touristen würden sich kaum trauen, in der Öffentlichkeit zu essen.

Na, solche Zustände herrschen hier glücklicherweise nicht. Syrien mag ein überwiegend von Muslimen bewohntes Land sein, und auch im öffentlichen Leben und in der Politik spielt die Religion bis zu einem gewissen Grad eine Rolle, aber eine Religionspolizei ist hier nicht von nöten. Das Regime möchte in religiösen Dingen eher liberal erscheinen, in islamistisch-extremistischer Betrachtung verlöre es ja selbst seine Legitimität, denn Assad gehört der muslimischen "Sekte" der Alawiten (Nusairier) an, die von manchen Muslimen als "unislamisch" angesehen wird.

Sicher sollte man das Thema Essen und Trinken im Ramadan mit etwas Fingerspitzengefühl angehen. Es kommt zum Beispiel darauf an, wo man gerade ist. In einem christlichen Viertel muss man weniger Rücksicht nehmen als in einem muslimischen - genau genommen *muss* man natürlich nicht einmal Rücksicht nehmen, aber wer keinerlei Respekt vor den Gebräuchen des Islam hat, sollte vielleicht anderswo Urlaub machen. In Bab Tuma zum Beispiel, das überwiegend christlich ist, und wo sehr viele Ausländer wohnen braucht man sich beim Essen und Trinken kaum Gedanken zu machen. Allgemein isst man in diesem Monat besser zu Hause. Das ist ja auch keine besondere Schwierigkeit, Trinken hingegen muss man schonmal etwas, wenn man aus irgendwelchen Gründen stundenlang durch die sengende Hitze läuft (laufen muss). Wenn man nicht gerade in Bab Tuma ist, macht man das optimalerweise nicht in der Mitte der Straße und klopft sich dabei trommelnd auf die Brust, sondern findet eine dezente Ecke dafür. Rauchen sollte man im Ramadan allgemein eher nicht auf der Straße, dafür herrscht wenig Verständnis. Wer es nicht aushalten kann, der muss dementsprechend mit abfälligen Bemerkungen rechnen.

Aber immerhin nicht mit einer Religionspolizei!

Ramadan III
Ramadan

Immer wieder Knilche

Nun hadere ich schon eine Weile ob meiner Kategorisierung. Die Taxifahrer-Geschichten sind stets unter "Alltägliches" gelandet, die letzten beiden Mich-Dumm-von-der-Seite-anquatsch-Kerle habe ich hingegen unter "Begegnungen" abgelegt, eine Kategorie, die eigentlich dafür gedacht war, erwähnenswerte Kontakte mit Individuen aufzubewahren. Aber eigentlich sind all diese Knilche ja eher eine gesichtslose Masse, so wie eben die Taxifahrer, Matrix-artige Smith-Replica. Kann man etwas auch in zwei Kategorien gleichzeitig unterbringen? Ich wüsste nicht wie. Ich belasse es also bei meiner Kategorisierung, habe ich doch nun zumindest auf deren Problematik hingewiesen.

Der heutige Knilch liefert aufgrund Reaktionsmüdigkeit meinerseits eine etwas kürzere Geschichte: Ich steige aus dem Service aus und will nach Hause gehen, was bedeutet, sich von der Hauptstraße aus etwa 200m durch kleine Gassen zu schlängeln. Zeitgleich mit mir steigt ein junger Kerl aus, den ich zumindest kurz wahrgenommen habe, aufgrund seiner Haare. Im Gegensatz zu den meisten Syrern, die ihre Haare kurz mit einem Kilo Gel drin tragen, hat er lange, gelfreie Haare, die zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden sind. Ich gehe also so durch die Gassen als eben dieser Typ auf einmal neben mir auftaucht und "Hallo" sagt. Schon jetzt weiß ich worauf das hinausläuft. frage mich aber ob der mir jetzt extra gefolgt ist oder zumindest hier in der Ecke wohnt. Gesehen habe ich ihn hier noch nicht. "Hallo" gebe ich zurück.

"Sprichst du Arabisch?"
"Ein bisschen"
"Wollen wir Freunde sein?"

Na hoppla, der kommt aber schnell zur Sache. Nichtmal das Standardprozedere - Herkunft, Familienstand, Kinder - abgefragt. Ich ignoriere die Frage und frage zurück:

"Wohnst du hier in der Gegend?"
"Nein, ich wohne in [hab ich vergessen]."

Aha, ist der mir also echt extra vom Service bis hierher gefolgt um mir diese grandiose Frage zu stellen und ich hab's nichtmal gemerkt. Grummel. Er wiederholt seine Frage aber ich hab grad gar keinen Bock auf Verfolger und sage schlicht "Nein". Wie erwartet hält ihn das dennoch nicht davon ab, auch noch die Telefonnummer erfragen zu wollen (wenn Frauen nein sagen, muss da schließlich ein verkapptes ja drin stecken - oder so...), was ihm ein weiteres "Nein" und einen extrem genervten Blick beschert, der ihn dann tatsächlich zum Aufgeben bewegt.

Jetzt im Nachhinein ärgere ich mich natürlich über mich selbst. Mit dem hätte ich doch ein bisschen Spaß haben können! Wie hier schon angeregt, hätte ich ihm die Handynummer seines Vorgängers andrehen können. Oder ihn freundlich auf einen Kaffee einladen, "mit mir und meinem syrischen Ehemann". Das Gesicht hätte ich dann gern gesehen. Naja, hoffentlich beim nächsten Mal!

Dienstag, 17. August 2010

Merke:

Syrische Katzen finden es genauso doof, gebadet zu werden, wie Katzen anderswo auf der Welt auch. Autsch.

Kein Ende in Sicht

Jede Woche schaue ich in die 16-Tage-Wettervorhersage, aber es ist kein Ende in Sicht, täglich 40°C, kaum Wind, kein Tropfen Regen. Ich bin ja eigentlich ein Sommer-Sonnen-Mensch, aber das ist doch ein bisschen zuviel des Guten. In Deutschland fürchte ich stets den Herbst kommen, denn all das nasskalte grau-in-grau löst bei mir auch schon mal saisonale depressive Verstimmungen aus. Aber jetzt - was gäbe ich für einen grau-in-grauen Tag, an dem ich durch einen Wald voll nassem, matschigen Laub stiefeln kann. So ändert sich die Perspektive. Auch dem hiesigen Herbst sehe ich natürlich erwartungsvoll entgegen. Vernünftige Temperaturen, weniger Stromausfälle (hatte hier gerade einen mitten im Text, zum Glück hat Mozilla die Sitzung wiederhergestellt), hier und da mal ein Regenschauer, frische Maqdus, ach das wird fein.

Momentan arrangiere ich mich, indem ich erst gegen Morgen, vier oder fünf Uhr schlafen gehe, bis mittags. So verschläft man einen Teil der Hitze und kommt in Genuss der kühlen (25°C) Nächte. Alles was zwingend zu erledigen ist, wird nach dem Aufstehen und der ersten Dusche des Tages in Angriff genommen, da ist noch am meisten Energie vorhanden. Danach gibts eine zweite Dusche und dann werde erstmal alle Feeds gelesen und ein bisschen hier vorbeigeschaut. Irgendwas findet sich auch für die nächsten Stunden zu tun, wenn ich nicht sowieso zu irgendwelchen Behörden hetzen muss. Abends setze ich mich dann mit einer Narjile und einem Buch vor die Wohnungstür, genieße die ansatzweise zu erahnenden kühlen Luftzüge und lese bis in die Nacht (bislang meist englische Bücher, aber demnächst schaue ich mal beim Goethe-Institut vorbei, da gibt es eine Bibliothek, die werd ich dann mal plündern gehen...).

Ja, so lässt es sich in diesen Breitengraden aushalten. Gut, dass ich nicht arbeiten und/oder fasten muss...

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